(Dieser Artikel erschien in der heutigen Ausgabe der NZZ in leicht gekürzter Form und wird auch in den Schaffhauser Nachrichten publiziert werden).
Von Norbert Neininger
Genau erinnert sich keiner mehr, wann und warum das Internet zum
rechtsfreien Raum wurde. Es mag mit der Vervielfältigung von
Computerprogrammen und den Musiktauschbörsen begonnen haben oder mit den
ersten Manuskripten von noch nicht publizierten Büchern, welche die
elektronische Runde machten und gratis gelesen werden konnten. Oder auch mit
den Spielfilmen, die man sich ohne Entschädigung noch vor dem Kinostart auf
den Computer laden und ansehen konnte. Programme, Texte, Bilder,
Musikstücke, Filme — all das stand plötzlich weltweit zur Verfügung, und es
kostete nichts. Und während jeder Turnverein, der seinen Unterhaltungsabend
mit Musik untermalte, Urheberrechtsgebühren entrichten musste, gewöhnten
sich die (jungen) Menschen daran, dass weder Recht noch Ordnung im Netz
gelten. Das Aussergewöhnliche hielten alle für selbstverständlich, und wer
darauf hinwies, galt als Ewiggestriger.
Das Internet – also die Möglichkeit, weltweit Daten verzögerungsfrei und
gratis auszutauschen – wurde, und das muss man selbstkritisch zugeben, auch
von den Verlegern jahrelang unter- oder falsch eingeschätzt. Diese haben,
wie immer bei neuen Verbreitungsmöglichkeiten, die alten Geschäftsmodelle
ins neue Medium übertragen. Und so gab es sehr früh Zeitungen im Internet
(sogenannte E-Paper) zu lesen, einige davon gegen Abonnementgebühren. Doch
während die Suchmaschinen (von Yahoo bis Google) oder elektronische Läden
(wie Amazon) und neue, genuine Internetideen (wie Ebay) das Rennen machten,
dümpelten die Verlegerinitiativen vor sich hin. Und sogar im eigentlichen
Kerngeschäft, den Rubrikenmärkten, fuhr der Zug an den Verlagshäusern
vorbei, zuerst im Bummel- und dann im Eilzugstempo. Doch die Besorgnis über
die verpassten Chancen war klein, zu stabil lief das Zeitungsgeschäft, und
das Versäumnis der Medienhäuser lässt sich am besten, wenn auch etwas grob,
mit einer Art Wohlstandsverwahrlosung erklären.
Als man sich dann auch in Verlegerkreisen darauf einstellen musste, dass das
Internet wohl kaum mehr verschwinden würde, besann man sich auf eine
sichere, aber teure Methode, um das Publikum zu erreichen: Man verschenkte
seine Inhalte. Angeregt durch den schnellen Erfolg einiger Gratiszeitungen
und in solider Unkenntnis der Mechanismen des neuen elektronischen
Aufmerksamkeitsmarktes, bot man plötzlich alle Inhalte (den sogenannten
Content) umsonst an, Geschäftsmodell: Die Werbung finanziert die Aufwände.
Oder besser gesagt: Alle hofften, die Werbung werde dann irgendwann einmal
die Aufwände finanzieren. Und es begann das Zeitalter der Eh-da-Managements,
will heissen: Die Zeitungsredaktionen waren ja eh da, und man konnte also
ihre Artikel im Internet verbreiten. Spartenrechnung, Kostenwahrheit? Nicht
in diesem Bereich, jetzt ging es darum, dabei zu sein und beim Trend
mitzumachen.
Terrain zurückerobert
Die Kreativität von Verlegern ist oft direkt proportional zum Umfang der
Stellenanzeiger, und umgekehrt gilt: Wenn das Geld knapp wird, wird
natürlich auch in der Medienbranche genauer gerechnet. Dennoch dauerte es
erstaunlich lange, bis man entdeckte, dass die Inhalte auf dem einen Träger,
dem Papier, teurer verkauft wurden, dass aber gleichzeitig dieselben oder
gar noch angereicherte Inhalte gratis waren, wenn sie auf elektronischen
Geräten gelesen wurden. Das Geschäft mit ebendiesen Inhalten machten aber
gleichzeitig andere, allen voran Google und viele weitere Aggregatoren. Die
parasitären Geschäftsmodelle waren und sind (noch) erfolgreich, der Kampf um
die Rechte an den Inhalten schien angesichts eines veralteten Urheberrechts
längst verloren, und kaum einer getraute sich, seine Inhalte per Opting-out
vor Google zu bewahren, denn die neue Währung waren nun die Links, welche
Google setzte und damit Traffic, sprich User, zuleitete.
Manche Medienhäuser haben inzwischen im Internet Terrain zurück- oder auch
neu erobert, haben erfolgreiche Start-ups, wie Zattoo, gekauft, sich an
Suchmaschinen oder an Rubriken- und anderen Portalen beteiligt. Und viele
verfolgen erfolgreich multimediale Strategien und engagieren sich auch in
Radio und Fernsehen. In den letzten Jahren wurde erkannt, dass Zeitungsleser
durchaus bereit sind, massvolle Erhöhungen der Abonnementpreise zu
akzeptieren, und diese Chance wird wahrgenommen. Eines aber blieb: Sobald
die Zeitung im Internet verbreitet wurde, war sie für den Leser kostenlos.
Paradigmenwechsel auch in der Schweiz
Wenn die NZZ am Sonntag nun schreibt: «Zeitungen wittern Geld im Internet»,
so kann man anfügen, dass es dazu keine besonders empfindliche Verlegernase
braucht. Bis vor kurzem blieb ja eine der ergiebigsten Einnahmequellen im
Internet unausgeschöpft, was sich derzeit aber schnell ändert; weltweit
setzen die Verlage nun auf Paid Content, oder anders gesagt: Die Einnahmen
sollen auch im Netz jenen zugute kommen, welche die Leistung erbringen, und
nicht den Aggregatoren oder Distributoren. Es kann nicht angehen, dass
Google oder die Telekommunikationsunternehmen weiterhin Höchstgewinne mit
den Inhalten der Medienunternehmen verdienen, während diese – und damit ihre
Redaktionen – leer ausgehen.
Um die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren, braucht es wesentliche
Voraussetzungen, die jetzt geschaffen werden. Zum einen wurde das Problem
ringsum erkannt. Da das derzeitige Urheberrecht die neusten Entwicklungen
nicht umfasst, muss ein sogenanntes Leistungsschutzrecht eingeführt werden,
das sicherstellt, dass die Medienunternehmen ein exklusives Recht an ihren
Inhalten auch im Internet haben und weder Artikel noch Auszüge daraus
ungefragt (und entschädigungslos) verwendet werden dürfen. Weiterhin sind
technische Voraussetzungen nötig, um Paid-Content-Modelle für den Nutzer —
einfach und unkompliziert zu gestalten. Mit den von Apple geschaffenen
iPhone- und iPadapps und dem dahinterliegenden Abrechnungssystem liegt ein
(erstes) einfaches Paid-Content-System vor.
Auch in der Schweiz wurde der Paradigmenwechsel eingeleitet, Paid Content
wird für die meisten Verlage zur Zukunftsstrategie gehören. Für den Verband
der Schweizer Presse hat die Einführung eines Leistungsschutzrechts nach
deutschem Vorbild Priorität, die entsprechenden Grundlagen dafür sind
geschaffen. Noch im Projektstadium hingegen steckt eine Initiative grosser
Schweizer Medienunternehmen, welche zusammen mit der Swisscom ein eigenes
Lesegerät und eine entsprechende Plattform entwickeln, die als sogenannter
elektronischer Kiosk allen Medienunternehmen zur Verfügung stehen und eine
Verlegeralternative zum Konzept von Apple darstellen soll.
Nicht in die Apple-Falle tappen
Kostenpflichtig sind auf dem iPad inzwischen Dutzende von Zeitungen und
Zeitschriften, von der «New York Times» über die «Welt» und den «Spiegel»
bis zum «Blick», weitere — darunter auch eine regionale Schweizer
Sonntagszeitung – werden in den nächsten Tagen und Wochen folgen. Was in
welcher Form im Netz wo und wie kostenpflichtig wird und welche Inhalte
weiterhin gratis zu beziehen sein werden, ist eine in allen
Medienunternehmen diskutierte Frage; man kann davon ausgehen, dass
Gratiszeitungen (also «20 Minuten») auch im Internet gratis bleiben werden,
abonnierte Zeitungen hingegen werden sich die Kannibalisierung des
Kerngeschäftes im elektronischen Kanal kaum weiter leisten wollen. Es wäre
dabei zu wünschen, dass bald eine Alternative zum iPad auf den Markt kommt
und die Medienunternehmen nicht in die Apple-Falle tappen, nachdem sie sich
aus der Google-Falle zu befreien begonnen haben.
Zu den künftigen Rahmenbedingungen, welche die für die direkte Demokratie
notwendige publizistische Qualität der Schweizer Zeitungen erhalten, gehört
ein solides Leistungsschutzrecht. Damit werden den Medienunternehmen die
Rechte an ihren Inhalten auch im Internet garantiert. Es ist ihnen dann
freigestellt, ob sie sich – mit allen finanziellen und politischen
Konsequenzen – für Paid Content, Gratismodelle oder Teile davon entscheiden.
Die Internetgemeinde aber wird mit der Realität konfrontiert: Nachdem klar
wurde, dass es weder Google noch Wikipedia um die Vermehrung des Wissens,
sondern um Marktanteile, Umsatz und Ertrag geht und auch auf den
Social-Media-Plattformen wie Twitter oder Facebook (über Werbung) Milliarden
eingenommen werden, verteidigen nun auch Verleger ihre und damit die
Interessen ihrer Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Und sorgen damit dafür,
dass freie und staatspolitisch unverzichtbare freie Medien weiterhin
gedeihen — auch in neuen Kanälen.