Von Norbert Neininger
Geheimnisse gibt es in unserer geschwätzigen Branche kaum, und dennoch wussten bis zum Schluss offenbar nur wenige, was nun besiegelt wurde: Die beiden Medienkonzerne NZZ und Tamedia und die bis dahin unabhängige Verlegerfamilie Gut haben sich anlässlich des Verkaufs der gutschen «Zürichsee Zeitung» geeinigt. Dieser Handel hat, weil die Tamedia bereits die «Thurgauer Zeitung» besass und die NZZ an den drei Zürcher Landzeitungen beteiligt war (die eng verflochten sind), weitreichende Folgen: Neu gehört die «Thurgauer Zeitung» der NZZ, neu gehören die «Zürichsee Zeitung» und der «Zürcher Unterländer» zu Tamedia, und neu ist Tamedia zu 38 Prozent am «Zürcher Oberländer» beteiligt. Die «Thurgauer Zeitung» wird nun zum Kopfblatt des «St. Galler Tagblatts» (das Teil der NZZ-Gruppe ist), das bisherige die «Thurgauer Zeitung» konkurrenzierende Kopfblatt im Oberthurgau wird eingestellt. Und unter der Regie von Tamedia wird ein Verbund ihrer Landzeitungen entstehen, mit dem auch weitere, ganz oder teilweise unabhängige Verlage um Zürich kooperieren können.
Besorgnis ob der marktbeherrschenden Stellung
Selbstverständlich ist es noch zu früh, um die Hintergründe der NZZ/Tamedia- Einigung und ihre Folgen in aller Tiefe zu beleuchten. Lassen wir daher für einmal die Akteure selber zu Wort kommen: Der «Tages-Anzeiger» fasste den zürcherisch/thurgauischen Zeitungshandel so zusammen: «Die NZZ wollte die Landzeitungen nicht mehr, war aber an der ‹Thurgauer Zeitung› interessiert. Ein Tausch, der auch für Tamedia aufgeht und den Verleger der ‹Zürichsee Zeitung› schmunzeln lässt.» Im Kommentar hiess es dann: «Ein Gewinn für Zürich.» Die «Thurgauer Zeitung» machte mit der Schlagzeile auf: «Künftig nur noch eine Zeitung im Thurgau», und die NZZ (deren Geschäftsführer sich gestern in den SN erklärte) zog folgendes Fazit: «Mehr Spielraum für beide Akteure.» Etwas gedämpfter fielen die zahlreichen (im «Tages-Anzeiger») publizierten Reaktionen von Politikern aus den betroffenen Kantonen aus. Die Thurgauer Regierung befürchtet eine «Ausdünnung der Berichterstattung» über den Kanton. Und in Zürich erregt die jetzt marktbeherrschende Stellung der Tamedia Besorgnis (Regierungsrat Markus Notter), oder man hat Angst vor einem «journalistischen Einheitsbrei» (Philipp Kutter, Stadtpräsident von Wädenswil).
Den lukrativsten Werbemarkt der Schweiz besetzt
Keine Frage: Der Tamedia-Konzern ist innert weniger Jahre zum Duplostein im medialen Legoland Schweiz geworden und hat seine Marktposition durch Zukäufe oder Neugründungen in allen Mediengattungen gefestigt. Und vor allem ist es ihm jetzt gelungen, den lukrativsten Werbemarkt der Schweiz – die Region Zürich – zu besetzen. Dieser Coup dürfte für die zukünftige Entwicklung der Tamedia wohl noch wichtiger gewesen sein als der Erwerb der Berner Espace Media oder der welschen Edipresse.
Kleinere Zeitungshäuser sind krisenresistenter
Trotz aller elektronischer und digitaler Konkurrenz bleiben Zeitungen die Haupt- und Leitmedien. Und gerade regionale oder lokale Zeitungshäuser bewältigen die oft beschworene Konjunktur- und Strukturkrise vielerorts besser als überregionale. Diese Krisenresistenz aber macht sie auch zu Objekten der Begierde, was die Tatsache erklärt, dass Höchstpreise für ihre Aktien bezahlt wurden und werden. Und wenn man jetzt landauf, landab beklagt, dass der «Bannwald der Demokratie » weiter ausgedünnt wird, so muss man auch bedenken, dass es neben der Nachfrage auch ein Angebot braucht, oder anders gesagt: Ohne Verkäufer gibt es keinen Handel. Und dies sei auch noch angefügt: Auch die Medienbranche bewegt sich – mit Ausnahme der konzessionierten Radio- und Fernsehstationen – im freien Markt, wo dem Trend zu Konzentration und Grösse nicht einmal per Kartellgesetz Einhalt geboten wird.
Je grösser ein Medienkonzern ist, desto grösser wird seine publizistische Verantwortung. Und je kleiner wiederum ein Medienhaus ist, desto mehr wird es – angesichts der anstehenden Herausforderungen – auf Kooperation mit geeigneten Partnern unter Wahrung seiner publizistischen und wirtschaftlichen Unabhängigkeit setzen, ganz nach der Devise: Titelvielfalt ist gut, Eigentümervielfalt bleibt besser.